Interview

Slut

Ich bin ein guter alter Europäer!

Großer Trubel umgibt die Ingolstädter von Slut in diesen Wochen. Gerüchte, das aktuelle Werk „All We Need Is Silence“ sei das letzte Album der Band, geisterten hartnäckig durch die Medienlandschaft. Grund genug für Bizarre Radio all diese spannenden Fragen geflissentlich zu ignorieren und Sänger Chrstian Neuburger am Rande des Konzerts im Frankfurter Café Royal mal zu wirklich interessanten Dingen zu befragen: seinem Verhältnis zum Musikjournalismus, dem beinahe schon legendären „Stimmproblem“ und den Ambitionen der Band in den USA und Großbritannien.

BR: Ihr seid jetzt ja schon ein paar Tage auf Tour. Seid ihr zufrieden mit dem bisherigen Tourverlauf?

Christian: Ja sehr, das passt alles. Ich weiß jetzt nicht, ob wir da richtig liegen. Aber unser Gefühl sagt uns, dass es alles ganz okay ist. Bei unseren Konzerten herrscht auf Seiten der Zuschauer immer noch eine große Aufmerksamkeit vor und das mag ich lieber als eine hüpfende, kopflose Menge.

BR: Eure Musik bietet sich ja auch für die Zuschauer nicht so zum Rumprügeln an, was es auch angenehmer macht, euren Konzerten zuzuhören.

Christian: Gott sei Dank, ja.

BR: Euer aktuelles Album „All We Need Is Silence“ habt ihr zum Teil in Tschechien geschrieben. Wie ist es denn dazu gekommen?

Christian: Wir haben dort eine Woche verbracht, aber weniger, um dort Lieder zu schreiben, als um zu beschließen, dass wir eine neue Platte machen wollen und zu besprechen, wie die neue Platte ungefähr aussehen soll. Das waren also eher Konzeptions- oder Arbeitsgespräche und es diente vor allem auch dazu, mal wieder ein paar Tage zusammen zu verbringen. Die Tour war ja schon länger vorbei und da geht jeder von uns ein bisschen seine eigenen Wege, auch wenn wir alle auf einem Haufen wohnen. Aber es war einfach gut, mal ein paar Tage zusammen zu verbringen und dann zu entscheiden, dass wir eine Platte machen wollen. Es sind eigentlich nur zwei Lieder dort entstanden.

BR: Ihr habt mal gesagt, dass ihr versucht mit jedem neuen Album nicht dort anzuknüpfen, wo ihr wart, sondern dass ihr versucht, die Dinge anders zu machen. Ändert sich dadurch auch euer Verhältnis zu euren alten Liedern? Distanziert ihr euch in gewisser Weise von den alten Songs? Legt ihr auch auf Konzerten den Schwerpunkt immer auf euer aktuelles Album?

Christian: Bei Konzerten legen wir jetzt schon den Schwerpunkt auf die neue Platte. Es würde mir aber ernsthaftes Kopfzerbrechen bereiten, wenn Alt und Neu nicht zusammen passen würde. Aber ich glaube, dass das bei uns nur selten passieren kann. Denn wenn man unsere Lieder entkleidet, dann ist das Grundgerüst doch eigentlich immer dasselbe. Daher haben wir auch zu unseren alten Liedern ein sehr gutes Verhältnis. Natürlich mögen manche in der Band die aktuelle Lieder lieberen als die älteren. Aber generell muss das ja zusammen funktionieren, weil die alten Lieder schließlich auch von uns sind. Wir sagen nicht, dass es so etwas wie „Lookbook“ nie wieder geben wird. Ich kann damit auch heute noch sehr gut leben. Es war wohl nötig, dieses Album aufzunehmen.

BR: Ihr habt zuletzt in Interviews gesagt, dass ihr euch ein bisschen von dem Rummel um die Band distanzieren wollt. Auch euer Album wollt ihr wohl zum Teil als Kritik an der Kumpanei im Musikgeschäft verstanden wissen. Wie stehst du denn zum Musikjournalismus? Ich habe letztens von anderen Musikern gelesen, die bei diesem Punkt sehr kritisch waren und meinten, dass ein Artikel über eine Band niemals wiedergeben kann, was wirklich passiert, wenn Menschen gemeinsam Musik machen.

Christian: Da gibt es solche und solche. Generell stehe ich dem Phänomen Musikjournalismus nicht kritisch gegenüber. Ich kann mir auch einigermaßen vorstellen, dass es ziemlich schwierig ist, über Musik zu schreiben. Das soll ja ungefähr so schwer sein, wie zur Architektur zu tanzen. Aber wenn das Wesentliche eingefangen ist, dann kann eigentlich wenig schief gehen. Dazu besteht eigentlich in jedem Interview die Möglichkeit. Dumm wird es aber dann, wenn der Autor meint, mit dem Artikel den Pulitzer-Preis gewinnen zu müssen, wenn also zu viel Literatur daraus wird. Natürlich kommt es hin und wieder mal vor, dass wir mit bestimmten Artikeln nicht zufrieden sind. Aber das kalkulieren wir mit ein. Generell sind solche Artikel eigentlich nicht furchtbar, sondern nur etwa die Hälfte der Artikel. (lacht)

BR: Lest ihr denn all die Berichte oder Reviews, die andere über euch schreiben?

Christian: Nur noch sehr selten. Wenn wir was geschickt bekommen, dann lesen wir das schon sehr gerne. Viele der Artikel gleichen sich aber auch sehr. Da wird immer fleißig aus dem Info der Plattenfirma abgeschrieben. Alles was darüber hinausgeht ist dann aber schon okay.

BR: Im Moment ist die Diskussion um diese Musikquote zur Förderung des deutschen Liedgutes ja in aller Munde. Ihr seid zwar eine deutsche Band, singt aber auf englisch. Ihr würdet davon also vielleicht gar nicht profitieren. Wie stehst du zu so einer Quote?

Christian: Ich denke, es gibt es so eine Art Schere zwischen den Plattenkäufen und Konzertbesuchen der Leute einerseits und dem was im Radio gespielt wird andererseits. Wenn man hört, was so alles im Radio gespielt wird, möchte man nicht meinen, dass die Konzerte von deutschen Bands so gut besucht sind. Ich weiß also nicht, ob es wirklich nötig ist, das kommerzielle Radio hier auch noch auf Linie zu bringen. Es funktioniert ja offenbar auch so. Es gibt im Moment doch kaum eine deutschsprachige Band, die ein nettes Liedchen hat und die nicht auf MTV läuft. Ich weiß also nicht, ob man das wirklich staatlich erzwingen sollte. Das französische Vorbild soll ja schon etwas gebracht haben, aber es schließt auch einiges aus. Wir hatten deswegen zum Beispiel Probleme, als es darum ging, in Frankreich veröffentlicht zu werden. Vielleicht sehe ich das auch zu sehr schwarz-schweiß. Ich mag einfach so amerikanische Musik nicht, die den Hörer berieselt und in jedem Autoradio oder in jedem Büro einer Vorzimmerdame läuft. Aber diese Musik nimmt auch keiner so richtig ernst. Da kauft sich ja keiner sofort die Platte oder rennt auf die Konzerte.

BR: Es ist ja auch nicht so, dass deutschsprachige Musik immer besser wäre als englischsprachige Musik. Denkbar wäre ja auch eine – schwer zu definierende – Qualitätsquote. Aber das kann man praktisch wohl niemals durchsetzen. Man kann ja nicht dem Hip-Hop-Sender befehlen, ab sofort nur noch Indie-Rock zu spielen.

Christian: Ja, ich denke auch, dass der Maßstab, der da angelegt wird, ein bisschen eindimensional ist. Man stelle sich einmal vor, in der gesamten Radiolandschaft würde nur noch deutschsprachige Musik laufen. Da gibt es so viel Mist. Es ist unfassbar. Es ist wirklich exorbitant, was zur Zeit alles auf deutsch gesungen werden darf.

BR: Habt ihr eigentlich noch das Bedürfnis Musik zu hören, wenn ihr auf Tour seid? Ihr habt ja fast den ganzen Tag mit Musik zu tun.

Christian: Nein, da hat wohl keiner das Bedürfnis auf Tour. Aber mit mir fragst du wohl gerade das falsche Bandmitglied. Auch zu Hause kaufe ich mir keine CDs, höre mir auch keine Musik an. Es ist nicht so, dass ich Geringschätzung gegenüber moderner Musik empfinden würde, ich brauche es einfach nicht. Wenn mir ein gutes Lied unter die Finger kommt, dann höre ich es natürlich auch. Aber ich schaue mich nicht aktiv nach neuer Musik um.

BR: Jetzt hab ich noch mal eine etwas blöde Frage an dich. Es geht um die Wahrnehmung der eigenen Stimme. Wenn ich jetzt das Diktiergerät anhalten und meine Stimme auf dem Band anhören würde, dann würde ich mich wahrscheinlich weinend auf dem Boden wälzen. So schrecklich empfinde ich den Klang meiner eigenen Stimme auf Band. Man nimmt seine Stimme ja selber immer anders wahr als die Umwelt und die meisten Leute finden den (objektiven) Klang ihrer eigenen Stimme ganz fürchterlich. Wie empfindest du das denn? Als Sänger hörst du ja häufig deine Stimme auf Band?

Christian: Da muss man differenzieren zwischen dem gesprochenen und dem gesungenen Wort. Ich kann mich noch daran erinnern, als ich das erste Mal meine Stimmung auf Band gehört habe. Ich war damals wirklich regelrecht schockiert. Ich wusste nicht, um wen es sich da handelt. Beim Singen aber deckt sich beides. Da ist die Kluft zwischen dem Aufgenommenen und dem Gesungenen nicht so groß. Ich habe da auch immer Bedenken: mit diesem Akzent mit dem rollenden R stellt man sich auf die Bühne und singt englisch. Ist das nicht grundverkehrt? Aber ich höre an den Platten, dass es echt ganz okay klingt. Darüber bin ich heilfroh.

BR: Unsere Leser hatten noch ein paar Fragen an euch, die ich jetzt einfach mal an dich weitergeben will. Ihr seid ja im Moment mit eurer „Schwesterband“ Pelzig auf Tour. Wer spielt denn da so mit und woher kommt eure enge Verbindung als „Schwesterband“?

Christian: Slut und Pelzig haben sich etwa zeitgleich formiert. Es war schon immer so, dass zwei Leute von Slut auch bei Pelzig gespielt haben. Daher sprechen wir da von der „Schwesterband“. Heutzutage unterscheiden sich die beiden Bands musikalisch eigentlich nicht mehr so sehr. Der Sänger von Pelzig macht aber alles ganz anders als ich. Das ist der Hauptunterschied. Musikalisch fand im Verlauf der letzten Jahre schon eine Annäherung statt. „Schwesterbands“ sind wir auch insofern, als dass wir alles miteinander teilen: den Proberaum, das Studio und das Instrumentarium.

An unserem Tisch läuft eine Dame mit vielen Bierflaschen in den Händen vorbei und nimmt mit Christian Kontakt auf. Ich erahne die beiderseitige Absicht späteren gemeinsamen Konsums der mitgeführten Getränke. Christian meint zu ihr: „Um Gottes Willen, das sind ja Liter-Flaschen“. Die Dame stimmt zu und geht ihres Weges. Christian wendet sich wieder zu mir und bemerkt: „Das war nicht meine Mutter“. Längere Heiterkeit erfüllt den Raum.

BR: Wie läuft es denn für euch in den USA oder in Großbritannien? Werden eure CDs dort schon veröffentlicht oder habt ihr entsprechende Pläne? Ein Leser bat mich euch auszurichten, dass er euch den Durchbruch dort zutraut.

Christian: Oh ja, sehr nett. Da kann man nicht so wie man will. Deutsche Musik hat es wohl immer schwer in Großbritannien oder in den USA. Ich weiß nicht genau, wie man sich das erklären soll. Man denkt da immer so an Bands, die auch dort gut ankommen.

BR: Rammstein und die Scorpions?

Christian: Ja, so etwas. Aber auch Kraftwerk oder Kraut-Rock an sich oder solche Sachen wie Nena oder Falco. Also eigentlich alles Bands, die etwas „typisch Deutsches“ verkörpern. Nicht nur in ihrer Musik sondern auch in ihrem Auftreten. Ich glaube, das wollen die Amerikaner und Briten. Zum Teil weil sie dumm sind, aber auch weil die dazu einen leichteren Zugang haben. Aber alles was ortsungebunden sein könnte, das ist dort nicht von großem Interesse. Mir bereitet es aber auch keine großen Bauchschmerzen, dass wir dort nicht angekommen sind mit unserer Musik.

Die einzige aktuelle Band von der ich weiß, dass sie im Moment in den USA groß sind, ist The Notwist. Das hat wohl vor allem deshalb funktioniert, weil es eine Begegnung zwischen dem Sänger und Gitarristen von Sonic Youth Thurston Moore und dem Sänger von The Notwist gab. Die Ursprünge von The Notwist liegen auch im experimentellen Post-Kraut-Rock Umfeld. Ansonsten will mir aber nichts anderes einfallen. Wir haben im Moment kein Fräuleinwunder aufzuweisen und die Deutschtümelei Rammsteins nimmt auch keiner mehr ernst. Der Musikmarkt dort ist auch total übersättigt, besonders in England. Aber das passt schon alles so. Ich bin ein guter alter Europäer.

BR: Was plant ihr denn so nach der Tour? Willst du Urlaub machen oder ein Buch schreiben?

Christian (schmunzelnd): Sehr schöngeistig... Die meisten von uns haben im Moment schon etwas nebenher vor. Das ist aber nicht musikalischer Natur, sondern es sind die Ausläufer unserer akademischen Laufbahn. Wir alle haben in letzter Zeit in unseren Berufen ein bisschen Fuß gefasst. Während der ganzen Zeit, in der wir am aktuellen Album gewerkelt haben, haben wir auch an diesen Sachen gearbeitet. Das wird jetzt auch so weitergehen. Wir werden uns bestimmt nicht zu Hause hinsetzen und darüber nachdenken, wann wir eine neue Platte machen. „All We Need Is Silence“ ist immer noch so präsent. Wir können uns jetzt einfach noch keine Gedanken über ein neues Album machen.

Während Christian spricht, bestücken Bedienungen im Hintergrund lautstark die Schränke mit Bierflaschen. „Mensch, was machen die denn da für einen Heidenlärm? Können die nicht sehen, dass wir hier ein Interview machen?“ sagt Christian. Ein guter Zeitpunkt, das Interview an dieser Stelle zu beenden. Noch ist er skeptisch, ob das Konzert heute gelingen wird. Immerhin sei heute Sonntag. Schon bald sollten seine Bedenken eindrucksvoll widerlegt werden.

Martin Baum21.10.2004

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